Praxisfall - Was sind die häufigen M&A-Fehler bei einem Zusammenschluss

Praxisfall - Was sind die häufigen M&A-Fehler bei einem Zusammenschluss

Den meisten M&A-Studien zufolge scheitern zwischen 80 und 90 Prozent der Unternehmenszusammenschlüsse. Die meisten Erklärungen für diese deprimierende Zahl betonen die Probleme bei der Integration der beiden beteiligten Parteien nach dem Zusammenschluss. In der Praxis sind Integrationsprobleme besonders schwerwiegend, wenn man sie nicht unbedingt erwartet. Beispielsweise wenn es sich bei der Akquisition um eine verwandte Geschäftsaktivität handelt, d. h. um ein "komplementäres" Unternehmen, das der Erwerber sehr gut versteht. Der M&A-Praxisfall von der Müller&Meyer soll die häufigsten M&A-Fehler veranschaulichen.

Müller&Meyer (nicht der richtige Name) ist ein mittelständisches Unternehmen der Druckbranche mit fast 1.000 Mitarbeitern. Das Unternehmen ist landesweit tätig und seine Kunden sind Unternehmen und Behörden, die große Auflagen von Broschüren, Zeitschriften, Katalogen und Marketingmaterial benötigen. Die operativen Zahlen zeigte ein schwaches Ergebnis und die Geschäftsführung stand unter Handlungsdruck.

Zusammenschluss als Retter in der Not

2018 beschloss die Geschäftsführung, der Abwärtsspirale durch Diversifizierung mittels Akquisition (M&A) entgegenzuwirken. Dies würde das Unternehmen in Bezug auf die Dienstleistungen erweitern und dem Unternehmen mehr Umsatz bescheren. Außerdem musste die Geschäftsführung einen Geschäftszweig mit besseren Gewinnspannen finden.

Aber es sollte nicht irgendein Zusammenschluss sein. Die neue Akquisition musste "verwandt" sein. Die Geschäftsführung entschied sich für eine Firma für Grafikdesign. Man hoffte, dass sich beide Unternehmen ergänzen würden und dass die Kunden sowohl Druck- als auch Grafikdesign-Dienstleistungen kaufen würden. Die Geschäftsführung erwartete, dass beide Unternehmen Cross-Selling an ihre bestehenden Kunden betreiben würden. Diese Beziehung war die treibende Motivation für den Zusammenschluss.

Im Jahr 2019 liefen die Dinge nicht ganz so reibungslos, wie die Geschäftsführung gehofft hatte. Wie der Geschäftsführer es ausdrückte, "stehen wir vor Herausforderungen bei der Integration der beiden Unternehmen". Zu diesem Zeitpunkt wurden wir gebeten eine Strategieprüfung durchzuführen, um herauszufinden was schiefgelaufen war. Man kann jetzt sagen, dass der Zusammenschluss nicht gut ausgegangen ist. Tatsächlich wurde das erworbene Unternehmen schließlich verkauft und reihte sich damit in die lange Reihe der gescheiterten Zusammenschlüsse ein, die in den Wirtschaftsnachrichten zu lesen sind.

Schon im Jahr 2019, als wir die strategische Prüfung des Unternehmens durchführten, deutete sich dieses Schicksal an. Wir führten Gesprächsrunden durch, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Eine Gruppe umfasste die drei Mitglieder der Geschäftsführung, eine andere neun leitende Angestellte und eine weitere eine Auswahl von wichtigen Kunden. Die Interviews dienten dazu, etwaige Hindernisse für die Zukunft aufzudecken und im Falle der Kunden deren Einschätzung über den wahrscheinlichen Erfolg der Unternehmensehe zu erfahren. Was lief also schief?

Fixierung auf Integration

Lassen Sie mich mit den Ergebnissen der Interviews mit den drei Geschäftsführern beginnen. Auf die Frage "Was sind die wichtigsten Herausforderungen für Müller&Meyer?" nannten alle fünf das Thema Integration als dringlich. Ihr Ruf hing vom Erfolg der Übernahme ab. Wir erhielten eine Reihe von Antworten zu den Integrationsherausforderungen, wie z. B. "Aufbau einer einheitlichen Kultur; Sicherstellung einer gemeinsamen Denkweise; hervorragende Zusammenarbeit; Cross-Selling; gemeinsame Nutzung von Kunden; Nutzung der Dienstleistungskanäle". Ein Geschäftsführer brachte es kurz und bündig auf den Punkt. "Integration muss unser Schwerpunkt sein. Wir haben viel Energie in diese Aufgabe gesteckt."

"Integration" wurde auch von fünf der leitenden Manager, die in der Zentrale arbeiteten, als eine der wichtigsten Herausforderungen genannt. Bei den vier Regionalmanagern, die nicht in der Zentrale, sondern an anderen Orten tätig waren, war die Integration zwar immer noch ein Thema, aber sie äußerten auch eher lokale Befürchtungen. Dazu gehörten "die Suche nach Mitarbeitern mit professionellen Fähigkeiten, der Umgang mit zusätzlicher Bürokratie, die Abgrenzung vom Wettbewerb, der Umgang mit schrumpfenden Gewinnspannen und die Bindung von Mitarbeitern".

Aus dieser und anderen Fragen ging klar hervor, dass die Eindämmung der Herausforderungen aus dem Zusammenschluss ganz oben auf der Tagesordnung stand. Es war auch klar, dass je höher die hierarchische Position der Befragten im Unternehmen war, desto mehr Gedanken machten sie sich über den Erfolg des Zusammenschlusses. Alle hatten große Hoffnungen, dass der Zusammenschluss gelingen würde. Es muss jedoch gesagt werden, dass diese Hoffnung mit erheblichen Ängsten auf der obersten Managementebene und in der Geschäftsführung verbunden war.

Wie reagieren Kunden auf einen Zusammenschluss

Die letzte Instanz, die über den Erfolg des Zusammenschlusses entscheidet sind natürlich die Kunden. Mitarbeiter und Geschäftsführung waren sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser Gespräche. Sie konnten es kaum erwarten, zu erfahren was ihre Kunden denken.

Wir entschieden uns für die Befragung von zehn wichtigen Kunden. Diese verteilten sich auf die verschiedenen Kundentypen. Zudem wurden die zu befragende Person in jedem Unternehmen von der Geschäftsführung der Müller&Meyer benannt. Jeder von ihnen war der Hauptentscheidungsträger, wenn es um die finale Auswahl zwischen Müller&Meyer oder einem Wettbewerber ging.

Während "Angst" am besten die Emotionen der Geschäftsführung und der Mitarbeiter von Müller&Meyer beschreibt, wenn es um das Cross-Selling zwischen Druck- und Grafikdienstleistungen geht, würde "Desinteresse" die Emotionen der Kunden am besten beschreiben. Einige Kunden brauchten nur eine der beiden angebotenen Dienstleistungen. Andere konnten die Logik und die Vorteile einer Kombination beider Dienstleistungen nicht erkennen. Diese Skepsis äußerte sich in Kommentaren wie dem folgenden eines Kunden, der bundesweit tätig ist: "Jede Niederlassung ist anders - sie treffen ihre eigenen Entscheidungen." Der zusammenfassende Kommentar lautete jedoch: "Ich müsste überzeugt werden. Jemand müsste mit uns reden".

Offensichtlich feierten die Kunden von Müller&Meyer den großen Durchbruch des Geschäftsmodells nicht besonders. Während in der Geschäftsführung und in den Köpfen der Mitarbeiter die Komplementarität großartig aussah, konnten die Kunden sie einfach nicht sehen. Die Hoffnungen der Geschäftsführung wurden durch die kalte kommerzielle Realität der Kundenergebnisse zunichte gemacht.

Vorsicht vor der damit verbundenen Diversifizierung

Einen Zusammenschluss gibt es in drei Formen: branchengleich, branchenfremd und branchenverwandt. Müller&Meyer hatte bereits in der Vergangenheit branchengleiche Akquisitionen getätigt, als es andere Druckunternehmen gekauft hatte. Die Integration dieser Unternehmen war von größter Wichtigkeit und erforderte Änderungen in der Markenführung und den Systemen. Aber im Großen und Ganzen verliefen diese branchengleichen Zusammenschlüsse gut.

Das andere Extrem ist ein branchenfremder Zusammenschluss. Bei dieser Form kommt das übernommene Unternehmen aus einer anderen Branche als der des Käufers. Beim so genannten Konglomerat-Model besteht relativ wenig Bedarf an Integration. Ein Konglomerat ist ein Zusammenschluss von Unternehmen unterschiedlicher Branchen, d.h. die Unternehmensgruppe besteht aus verschiedenen Unternehmen und ist in einer Vielzahl verschiedener Branchen tätig. Jedes Unternehmen in der Gruppe steht für sich allein.

Dann gibt es noch den branchenverwandten Zusammenschluss, eine heikle Mischung aus den beiden anderen Formen, die besondere Risiken birgt. Das Management muss sich einer doppelten Herausforderung stellen. Natürlich ist die Integration zweier Unternehmen ein Problem, aber diese Form des Zusammenschlusses erfordert auch eine Änderung des Geschäftsmodells, die sowohl den Erwerber als auch das Zielunternehmen betrifft.  Denn die bestehenden Kunden auf beiden Seiten (Erwerber und Zielunternehmen) müssen in der erweiterten Produktpalette einen Mehrwert sehen, wenn sie ihr derzeitiges Kaufverhalten für die Produkte dieser Palette ändern sollen. Dies war bei Müller&Meyer nicht der Fall, da die Kunden den Sinn einer Kombination der beiden Unternehmen einfach nicht erkennen konnten.

Ende 2020 wurde der Zusammenschluss rückgängig gemacht und das Zielunternehmen veräußert. Von den drei Geschäftsführern traten zwei zurück. Einer von ihnen war der Schwiegersohn des Gesellschafters. Der fatale Schlag kam, weil das Management die Bedürfnisse seiner Kunden falsch einschätzte und das Geschäftsmodell folglich scheiterte.

Wenn Sie also das nächste Mal versucht sind, einen entsprechenden Zusammenschluss vorzunehmen, überprüfen Sie Ihre Innensicht mit der Außensicht auf Ihre Kunden. Stehen Sie von Ihrem Schreibtisch auf und sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitern und Kunden. Testen Sie Ihre Hypothese, mit der kalten, harten Realität der Kundenwelt. Sie könnten sich dadurch eine Menge Geld und Ärger ersparen.